Unter der Überschrift „Was hat CPR mit Geopolitik und strategischem Denken zu tun?“ war am 30. Oktober 2024 Joachim Bitterlich zu Gast im CPR-Talk am Mittag.
Bitterlich blickt auf eine herausragende Karriere im diplomatischen Dienst zurück. In den 1980er Jahren war er im Ministerbüro von Außenminister Hans-Dietrich Genscher tätig. In den Wendejahren fungierte er als europa- sowie außen- und sicherheitspolitscher Berater von Bundeskanzler Helmut Kohl und prägte damit die deutsche und europäische Integration. Später vertrat er die Bundesrepublik als NATO-Botschafter in Brüssel sowie in Spanien. Heute ist Joachim Bitterlich Honorarprofessor an der Wirtschaftshochschule ESCP Paris und publiziert zu europäischen und internationalen Entwicklungen.
Eingangs diagnostizierte Bitterlich zugespitzt: “Es gibt keine Außenpolitik in Deutschland. Das gilt mutatis mutandis auch für die Wirtschaft.” Unternehmen sollten aktiver in die politische Arena einsteigen. Schließlich bewegten sie sich in einem Rahmen, der von der Politik gesteckt wird. Diesen mitzugestalten, liege in ihrem eigenen Interesse.
Als Beispiel nannte Bitterlich das Verhältnis zu den USA: Deutsche Unternehmen sollten gegenüber der Politik klar formulieren, wie sie sich die zukünftigen transatlantischen Beziehungen vorstellen. Eine starke Stimme der Wirtschaft könne dazu beitragen, konkrete Eckpunkte für die bilaterale Zusammenarbeit zu setzen.
Oder das Beispiel China: Anstelle kaum realistischer öffentlicher Bekenntnisse zur Demokratie könnten deutsche Unternehmen demokratische Werte im Inneren vorleben, etwa durch eine stärkere Beteiligung der Arbeitnehmer an der Unternehmensführung.
Gegenüber seinen Studenten erklärt Bitterlich das Konzept von CPR als “international risk management”, Unternehmen sieht er als “political stakeholder”. Indem sie Verantwortung übernehmen und politische Prozesse mitgestalten, könnten Unternehmen zu Stabilität und Wohlstand beitragen. Gerade für die junge Generation wirke dieses Verständnis von Unternehmen als politische Akteure sehr einleuchtend.
Für Bitterlich gehört das internationale Umfeld eines Unternehmens zur Top-Priorität in jedem Aufsichtsrat. Die zentrale Aufgabe der Führungsgremien müsse es sein, das Unternehmen strategisch in die globalen Märkte einzubetten. Hier stünden die deutsche Wirtschaft und Politik vor grundlegenden Herausforderungen, die eine “konzertierte Aktion” erforderten: Was läuft falsch und was muss sich ändern, vor allem im Hinblick auf die europäische Integration und Zusammenarbeit?
Ein weiterer kritischer Punkt für Bitterlich ist die mangelnde Kultur des Austausches zwischen Politik und Wirtschaft. Die Beziehung sei in den letzten Jahren verkümmert und müsse neu belebt werden.
Zum Abschluss betonte Bitterlich, wie wichtig eine funktionierende Streitkultur für den Erfolg der Wirtschaft sei. Durch die Offenheit für verschiedene Perspektiven entstünden Innovationsfähigkeit und Veränderungsbereitschaft - zwei Eigenschaften, die in Deutschland gestärkt werden müssten.
Joachim Bitterlichs Vortrag ist ein Weckruf an die deutsche Wirtschaft und Politik gleichermaßen: Ohne ein stärkeres Engagement der Wirtschaft in politischen Fragen und ohne eine klare strategische Ausrichtung werde Deutschland die Herausforderungen einer globalisierten Welt nicht erfolgreich meistern. Es sei Zeit, dass Unternehmen Verantwortung als politische Akteure übernehmen und gemeinsam mit der Politik an der Zukunft Deutschlands und Europas arbeiten.
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