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„Die Mitbestimmung der Belegschaft ist essenziell für demokratisches Engagement von Unternehmen“

CPR-Talk mit Thomas Fischer (DGB), 20.06.2024


 

Wie blicken die Gewerkschaften auf Corporate Political Responsibility (CPR)?

 

Wir begrüßen den CPR-Ansatz ausdrücklich. Lange haben wir beklagt, dass trotz der zunehmenden Fragmentierung der politischen Landschaft kaum hörbare Stimmen aus der Arbeitgeberschaft zu vernehmen waren. Zuletzt gab es aber einige interessante unternehmerische Initiativen, von denen ich drei besonders hervorheben möchte. Das ist zum einen die Allianz „Wir stehen für Werte“, zu der sich über dreißig große deutsche Unternehmen anlässlich der Europawahl 2024 zusammengeschlossen haben, um für Toleranz, Weltoffenheit und Vielfalt zu werben. Die Allianz hat zur Wahlbeteiligung aufgerufen und sich dabei ausdrücklich auch an die Belegschaften der Mitgliedsunternehmen gewendet. Gemeinsam mit dem BDI hat der DGB diese Initiative unterstützt. Zum anderen möchte ich das Bündnis „Vereint für Demokratie“ erwähnen, an dem sich auch die IG Metall beteiligt und das finanzielle Mittel aus Unternehmen und Stiftungen in einem „Fonds für Demokratie“ bündelt, um mit diesen Organisationen die Zivilgesellschaft in ihrer Arbeit vor Ort zu unterstützen. Drittens möchte ich noch auf eine Sozialpartnerinitiative hinweisen, mit der ver.di und der Arbeitgeberverband des privaten Bankengewerbes Neuland betreten haben. Vereinbart wurde dort, dass die Beschäftigten in Unternehmen dieser Branche während der Arbeitszeit kostenlose Seminarangebote des Programms Business Council for Democracy (BC4D) besuchen können, z.B. Schulungen zum Umgang mit Fake News und Hate Speech in den Sozialen Medien, und dafür freigestellt werden.

 

Wie lässt sich politische Verantwortung im Unternehmen verankern?

 

Aus meiner Sicht ist es wichtig, an einem „System der kommunizierenden Röhren“ zu arbeiten. Das bedeutet, dass das Thema nicht exklusiv in Vorständen und Aufsichtsräten verhandelt wird, sondern im engen Austausch mit Betriebs- und Personalräten. Generell gilt: Mitbestimmung kommt bisher im Verantwortungsdiskurs rund um das Thema CPR deutlich zu kurz. Je mehr Demokratie auch im Unternehmen und in der Arbeitswelt gelebt wird, desto besser wird demokratisches Engagement in der Gesellschaft von Mitarbeitenden mitgetragen. Um glaubwürdig zu sein, muss die gesellschaftspolitische Haltung von Unternehmen Hand in Hand gehen mit ihrer Bereitschaft, auch „im eigenen Laden“ für demokratischere Verhältnisse zu sorgen. Ich finde es problematisch, wenn Unternehmen sich öffentlich zu Demokratie und Menschenrechten bekennen, hinter den Kulissen jedoch alles Erdenkliche tun, um etwa strengere Berichtspflichten über ihre Lieferketten zu verhindern. Diese Widersprüchlichkeiten werden durchaus von der Belegschaft wahrgenommen.

 

Wie lässt sich vor dem Hintergrund der Europawahl mithilfe von CPR der zunehmenden Beeinflussung der Arbeitnehmerschaft durch die Alternative für Deutschland (AfD) entgegenwirken?

 

Die Ergebnisse der Europawahl waren besorgniserregend. Die entscheidenden Gründe für das veränderte Wahlverhalten von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern sind sozialer Natur – auch wenn das Soziale natürlich erzpolitisch ist. Es geht um Fragen wie die Zukunft der jeweils eigenen Branche, des Standorts und des eigenen Berufs. Gewisse Tätigkeiten, etwa in der Automobilbranche, waren traditionell mit hohem beruflichem Stolz verbunden, der durch die Transformationen der letzten Jahre tief erschüttert wurde.

 

Wenn Arbeitgeber keine überzeugenden Antworten auf die Frage haben, wie den Beschäftigten in diesen Zeiten tiefer Umbrüche sichere Zukunftsperspektiven eröffnet werden können, wird ihr CPR-Engagement nur geringen Einfluss auf die Einstellungen der Arbeitnehmer haben. Das gilt insbesondere in der Standortfrage: Wer Standortvorteile, wie z.B. staatliche Subventionen für die Entwicklung neuer grüner Technologien, Produktionsverfahren und Geschäftsmodelle in Anspruch nimmt, muss auch Treue zum Wirtschaftsstandort Deutschland zeigen. Generell sollte gelten, dass staatliche Hilfeleistungen an Unternehmen zur erfolgreichen Gestaltung der Klimawende sozial konditioniert werden – d.h. an Standortgarantien und Kriterien guter Arbeit gebunden werden.

 

Aber auch wir Gewerkschaften haben sicherlich Anlass zur Selbstkritik. So haben wir es an vielen Stellen versäumt, frühzeitig Antworten auf die gegenwärtigen Sorgen der Arbeitnehmerschaft zu entwickeln. Dafür nur ein Beispiel: In den 1970ern haben sich die Gewerkschaften frühzeitig mit Klimaschutzfragen beschäftigt, sich dann aber während der Arbeitsmarktkrisen und den Globalisierungsschüben der folgenden Jahrzehnte anderen Themen zugewandt. Inzwischen haben wir uns wieder umorientiert. Die Erreichung der Pariser Klimaziele steht für uns außer Frage und wir wollen unseren Beitrag dafür leisten. Das gilt übrigens auch für die meisten Beschäftigen. Der Klimaschutz hat für sie Top-Priorität. Auf gewerkschaftlicher Seite haben wir aber möglicherweise zunächst ihre Zukunftssorgen und Verunsicherung unterschätzt, die sich aus dem erforderlichen „grünen“ Umbau unserer Wirtschaft ergeben. Dieses Gefühl zunehmender Unsicherheit wurde dann natürlich durch Ukrainekrieg, Energie- und Inflationskrise noch einmal deutlich verschärft. Alles Entwicklungen, die kein Mensch voraussehen konnte. Wie auch immer: Wir sind immer stärker gefordert zu erklären, weshalb die Klimawende nicht in Frage gestellt werden darf – und wir sind immer stärker gefordert, dafür zu sorgen, dass die Beschäftigten demokratisch an der Gestaltung des Wandels beteiligt werden. Nur wenn die Beschäftigten auf Augenhöhe mitentscheiden können, wie die Klimaziele erreicht werden können, ist sichergestellt, dass die ökologische Wende auch sozial gerecht abläuft.  Und eine abschließende Bemerkung möchte ich mir an dieser Stelle auch noch erlauben: Wenn die extreme Rechte bei AfD und Konsorten den Klimawandel leugnet und den Umbau unserer Wirtschaft zur Klimaneutralität für überflüssig erklärt, dann betätigen sie sich als Totengräber für den Wohlstand, das Wachstum, sichere und gute Arbeitsplätze und ein besseres Leben für heutige und künftige Generationen in unserem Land. Ein einfaches „Weiter so“, ein Festhalten an der fossilen Wirtschaft, wie aus dieser Ecke der ewig Gestrigen propagiert wird, würde unser Land auch im internationalen Wettbewerb meilenweit zurückkatapultieren. Deshalb ist es auch der blanke Hohn, wenn die AfD den Anspruch erhebt, eine „Arbeiterpartei“ zu sein. Genau das Gegenteil ist der Fall: ihre Vorhaben würden überwiegend zulasten der Arbeiternehmerinnen und Arbeitnehmer gehen.

 

Funktioniert noch die alte Logik, nach der die Politik ihrer Wählerschaft verspricht, alle Probleme für sie lösen zu können?

 

Ich denke nicht, dass es da bei den meisten politischen Entscheiderinnen und Entscheidern im Lager der demokratischen Parteien an Erkenntnis mangelt. Allerdings haben wir nach wie vor ein Umsetzungsproblem. Politiker versprechen tatsächlich noch viel, aber setzen vergleichsweise wenig um. Die Erkenntnis, dass die Politik und der moderne Staat eine stärkere „Missionsorientierung“ zur Lösung der großen Aufgaben der Gegenwart haben sollten, fließt kaum in die Praxis ein. Staaten wie China und die USA sind beim Thema Missionsorientierung momentan besser aufgestellt. Mit Blick auf China bedeutet das aber nicht, dass ein undemokratisches Modell auch langfristig zu Wachstum und steigendem Wohlstand führen wird. Demokratien brauchen in diesem Wettbewerb einen langen Atem: Zusammen sollten wir unser System so aufstellen, dass wir konkurrenzfähig mit Autokratien bleiben. Hier muss der Staat die Richtung vorgeben, aber Unternehmen sind bei der Umsetzung ebenso gefragt.

 

Wie kann erfolgreiches gesellschaftspolitisches Engagement von Unternehmen aussehen?

 

Nehmen wir mal den Chemiekonzern Evonik als Beispiel, dessen Unternehmensleitung sich öffentlich für Vielfalt stark macht. Eine Umfrage der Jugend- und Auszubildendenvertretung innerhalb des Konzerns zu dem Thema zeigte hohe Zustimmung in der Belegschaft – auch bedingt durch das starke gewerkschaftliche Engagement und der betrieblichen Interessenvertretungen in diesem Bereich. Das ist ein gutes Beispiel einer gelungenen, sich ergänzenden Sozialpartnerschaft. Mitbestimmung trägt zu echter Verankerung in der Belegschaft bei, denn auch Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer wollen, dass Zusammenarbeit in Vielfalt gelingt. Und auch Gewerkschäften und Betriebsräte haben dazu gelernt. Lange herrschte in Betriebsräten ein patriarchalisches Verständnis von Repräsentation vor. Dies hat sich erfreulicherweise inzwischen geändert. Wir schaffen es zunehmend, die Betriebsratsarbeit stark beteiligungsorientiert auszurichten und dadurch eine inklusivere Vertretung für diverse Gruppen zu gewährleisten.

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