Am 14.11.2017 richtete BOHNEN Public Affairs die nunmehr vierte Veranstaltung seiner Debattenserie „BigPicture“ aus. Diesmal setzten sich Ralf Fücks, ehemaliger Vorstand der Heinrich-Böll-Stiftung und Gründer des Zentrums für die liberale Moderne, und Frank A. Meyer, Schweizer Journalist und publizistischer Berater von Ringier, mit Radikalität als Neuorientierung der bürgerlichen Mitte auseinander. Die radikalen Herausforderungen, die nach neuen bürgerlich-demokratischen Antworten verlangen, beschrieb Fücks anhand von vier übergreifenden Entwicklungen: erstens dem Globalisierungsschub, der eine Humanisierung sozialer, politischer und wirtschaftlicher Verhältnisse, aber auch Stress und Abstiegsängste verursacht habe; zweitens der digitalen Revolution, die einen tiefen Einschnitt in die Arbeitswelt bedeute und bisher vorrangig als „Angstthema“ besetzt sei; drittens die interkontinentale Migration, im Zuge derer uns das Fremde plötzlich nahe komme; und viertens der kulturellen Revolution, die mit dem Niedergang des Patriarchats und der Gleichstellung der Frauen einhergehe. Die Gleichzeitigkeit dieser Entwicklungen, so Fücks, habe eine massive, von den liberalen Eliten unterschätzte Verunsicherung ausgelöst. Das Resultat seien Protestphänomene wie Trump und der Brexit. Was also tun? Fücks plädiert für ein politisches Projekt unter dem Titel „Sicherheit im Wandel“. Abschirmen könne man den Wandel nicht, politisch gestalten aber schon. Letztlich gehe es um eine Wiederbelebung bürgerlicher, republikanischer Institutionen, z.B. durch Investitionen in Bildung, Kultur oder Infrastruktur. Eine Gemeinschaft stiftende, liberale Politik müsse steuern und regulieren – die Vision sei nicht laissez-faire, sondern ein Ordnungsrahmen. Dabei begrüßte Fücks zwar den etymologischen Verweis des Wortes Radikalität, an die Wurzel der Dinge zu gehen. Doch blieb er skeptisch, ob der durch die Totalitarismen des 20. Jahrhunderts kontaminierte Begriff tatsächlich eine zivile Bedeutung annehmen könne. Anders Meyer, der die Radikalität nicht den Extremisten, ob links oder rechts, überlassen will. Denn Bürgerlichkeit sei radikales Denken, das mit Lust am Streit auf klare Sprache setze – und nicht etwa auf „sedierende Sentenzen“ oder „vielsagendes Schweigen“. Was Bürgerlichkeit heute meinen könne, beschrieb Meyer anhand der Metapher des Raumes. Europa sei so ein schützender Raum, z.B. wenn die EU die neuen Götter des Digitalzeitalters aus dem Silicon Valley kartellrechtlich einhege und damit in den europäischen Rechts-, vor allem aber Kulturraum integriere. Einen Raum ziviler Geborgenheit biete ebenso die Nation – ein weiterer Begriff, den Meyer nicht an die Populisten verloren geben möchte. Die Nation sei der Raum des Bürgertums und der Aufklärung, hier müsste sich politische Gegnerschaft – nicht aber Feindschaft – ausspielen. Populisten, so Meyer, seien nämlich nicht das Resultat bürgerlichen Streites, sondern bürgerlichen Wegduckens. Gleichzeitig bedinge der Begriff vom Raum den der Grenze: denn Grenzenlosigkeit – vorangetrieben z.B. durch die Digitalunternehmen des Silicon Valley – sei das Gegenteil von Bürgerlichkeit. Einig waren sich Fücks und Meyer schließlich darin, dass es ein neues bürgerlich-demokratisches Projekt brauche. Singuläre Problemlösung sei in einer zunehmend fragmentarisierten Gesellschaft nicht ausreichend. Fücks schlug vor, auf der Suche nach einer übergreifenden normativen Idee erneut über „wehrhafte Demokratie“ nachzudenken. Und Meyer machte zum Schluss deutlich: Demokratie muss wieder begeistern!